Betablocker nach Herzinfarkt sind nicht für alle sinnvoll?
Betablocker galten über Jahrzehnte als unverzichtbarer Bestandteil der Nachbehandlung nach einem Herzinfarkt – unabhängig von der Herzleistung. Doch neue Forschungsergebnisse rütteln an diesem medizinischen Dogma. Zwei große Studien, vorgestellt auf dem ESC-Kongress 2025 in Madrid, zeigen: Der pauschale Einsatz von Betablockern bei allen Patienten nach einem Herzinfarkt ist nicht mehr zeitgemäß. Besonders bei Patientinnen könnten sie sogar mehr Schaden als Nutzen bringen. Die Studien fordern nun ein Umdenken hin zur individuellen Therapieentscheidung.
Inhaltsverzeichnis
- Das Wichtigste in Kürze
- Sind Betablocker nach einem Herzinfarkt noch für alle Patienten sinnvoll?
- Jahrzehntelanger Standard: Warum Betablocker bisher jedem verordnet wurden
- REBOOT-Studie stellt pauschale Gabe infrage
- Frauen stärker gefährdet – wenn das Herz sich gut erholt hat
- BETAMI-DANBLOCK: Gibt es doch einen gewissen Nutzen?
- Widersprüchliche Studien? Nicht wirklich
- Ein Paradigmenwechsel in der Herzinfarkt-Nachbehandlung
- Fazit
Das Wichtigste in Kürze
- Betablocker nicht mehr für alle sinnvoll: Neue Studien zeigen keinen generellen Nutzen bei normaler Herzfunktion.
- REBOOT-Studie entkräftet Standard-Therapie: Keine Vorteile bei Überleben, Re-Infarkt oder Herzschwäche.
- Frauen besonders betroffen: Höheres Risiko für Komplikationen und Tod bei gut erholter Herzfunktion.
- BETAMI-DANBLOCK findet kleinen Nutzen: Geringere Re-Infarkt-Rate – aber kein signifikanter Überlebensvorteil.
- Fazit der Forschung: Betablocker nur noch bei individueller Indikation und nach genauer Abwägung.
Sind Betablocker nach einem Herzinfarkt noch für alle Patienten sinnvoll?
Nein, neue Studien zeigen, dass Betablocker nach einem Herzinfarkt nur bei Patienten mit eingeschränkter Herzfunktion vorteilhaft sind. Bei normaler Herzleistung bieten sie keinen messbaren Überlebensvorteil und können insbesondere bei Frauen sogar schädlich sein.
Jahrzehntelanger Standard: Warum Betablocker bisher jedem verordnet wurden
Seit den 1980er-Jahren galt die Gabe von Betablockern nach einem Herzinfarkt als medizinischer Standard. Die Medikamente senken Blutdruck und Herzfrequenz, reduzieren den Sauerstoffbedarf des Herzens und sollten so das Risiko eines weiteren Infarkts minimieren. Auch Patienten mit normaler Herzleistung erhielten die Präparate routinemäßig – basierend auf älteren Studien.
Doch diese Daten stammen aus einer Zeit, als moderne Therapien wie Stents oder Statine noch nicht zur Verfügung standen. Die Erholung des Herzens war damals langsamer, und Betablocker galten als zentrale Säule der Sekundärprävention. Heute hat sich die medizinische Landschaft jedoch stark verändert. Neue Technologien und Medikamente verbessern die Prognose deutlich. Daher stellt sich berechtigterweise die Frage, ob ein pauschaler Einsatz dieser Wirkstoffe noch zeitgemäß ist.
REBOOT-Studie stellt pauschale Gabe infrage
Die auf dem ESC-Kongress 2025 präsentierte REBOOT-Studie liefert klare Daten. Über 8400 Patienten mit überstandenem Herzinfarkt und mindestens 40 Prozent Pumpleistung des Herzens nahmen teil. Eine Gruppe erhielt Betablocker, die andere nicht – beide jedoch die übliche Standardtherapie. Das Ergebnis nach fast vier Jahren war ernüchternd: Es gab keinen signifikanten Unterschied bei Todesfällen, Re-Infarkten oder Krankenhausaufenthalten wegen Herzschwäche. Die Tabelle zeigt die relevanten Vergleichszahlen:
| Ereignis | Mit Betablocker | Ohne Betablocker |
|---|---|---|
| Todesfälle | 161 | 153 |
| Erneute Herzinfarkte | 143 | 143 |
| Klinikaufenthalte wegen Herzschwäche | 39 | 44 |
Diese Ergebnisse deuten klar darauf hin, dass Betablocker bei Patienten mit normaler Herzfunktion keinen Vorteil bringen. Besonders problematisch: Bei bestimmten Gruppen wie älteren Frauen könnten sie sogar Nachteile verursachen.
Frauen stärker gefährdet – wenn das Herz sich gut erholt hat
Ein besonders kritischer Aspekt der REBOOT-Daten betrifft weibliche Patienten. Von den rund 8400 Teilnehmern waren 1627 Frauen. Diese Gruppe wies häufiger Begleiterkrankungen auf und erhielt seltener leitliniengerechte Therapien. Erschreckend war: Frauen, deren Herzfunktion sich gut erholt hatte, profitierten nicht von der Betablocker-Therapie – im Gegenteil.
Sie hatten ein signifikant höheres Risiko für Komplikationen und Todesfälle, vor allem bei hoher Dosierung. Männer zeigten dieses Risiko nicht. Die Studienautoren raten deshalb, insbesondere bei Frauen mit normaler Herzleistung die Notwendigkeit einer Betablocker-Therapie kritisch zu hinterfragen. Dieser Geschlechterunterschied unterstreicht, wie wichtig eine individualisierte Behandlung nach dem Herzinfarkt geworden ist.
BETAMI-DANBLOCK: Gibt es doch einen gewissen Nutzen?
Die BETAMI-DANBLOCK-Studie, ebenfalls auf dem ESC 2025 vorgestellt, brachte ein differenzierteres Bild. Sie umfasste über 5500 Patienten in Dänemark und Norwegen – alle nach akutem Herzinfarkt, alle ohne relevante Herzschwäche. Auch hier erhielten manche Patienten Betablocker, andere nicht. Die Sterblichkeit war in beiden Gruppen nahezu identisch (4,2 % mit vs. 4,4 % ohne Betablocker).
Doch ein kleiner Vorteil zeigte sich: Die Rate erneuter Herzinfarkte war in der Betablocker-Gruppe niedriger (5 % vs. 6,7 %). Auch wenn der Effekt gering war, zeigt diese Studie, dass es Konstellationen geben kann, in denen Betablocker noch einen Nutzen entfalten. Aber: Dieser Nutzen ist nicht pauschal, sondern situationsabhängig.
Widersprüchliche Studien? Nicht wirklich
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Studien gegensätzlich. Die REBOOT-Studie spricht sich klar gegen den generellen Einsatz aus, während BETAMI-DANBLOCK einen gewissen Vorteil zeigt. Doch bei genauer Betrachtung ergänzen sich die Ergebnisse.
Beide Studien betonen, dass Betablocker nur bei sorgfältiger Indikationsstellung sinnvoll sind. Die entscheidende Frage lautet also nicht mehr: „Wer bekommt Betablocker?“ – sondern: „Wer braucht sie wirklich?“ Der Nutzen ist gering, mögliche Nebenwirkungen sind real – insbesondere bei Frauen. Das spricht dafür, künftig keine Standardlösung mehr zu verfolgen, sondern individuell zu entscheiden.
Ein Paradigmenwechsel in der Herzinfarkt-Nachbehandlung
Die neuen Erkenntnisse markieren einen Wendepunkt. Jahrzehntelang war die Gabe von Betablockern nach einem Herzinfarkt unbestritten. Doch die moderne Medizin hat sich weiterentwickelt. Dank verbesserter Versorgung durch Stents, Statine und strukturierte Reha-Programme erholen sich Herzen heute schneller und vollständiger.
Gleichzeitig machen es neue Studien möglich, Therapieentscheidungen gezielter und individueller zu treffen. Der pauschale Einsatz von Betablockern gehört damit der Vergangenheit an. Künftig wird es entscheidend sein, die Therapie auf den einzelnen Patienten abzustimmen – unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Herzleistung und Begleiterkrankungen.
Fazit
Betablocker für alle nach Herzinfarkt? Diese Ära scheint zu Ende zu gehen. Neue Studien belegen, dass der pauschale Einsatz bei Patienten mit normaler Herzfunktion keinen Vorteil bringt – und bei Frauen sogar Risiken birgt. Ein individueller Therapieansatz wird künftig wichtiger denn je. Die Nachbehandlung nach einem Herzinfarkt sollte differenziert, geschlechtsspezifisch und evidenzbasiert erfolgen.